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1990 – 2015

9. Umnutzung und Wiederentdeckung

1990er: Erst Unterkunft, dann Sozialamt – und der vergessene Keller

1989 war die Mit­tel­stra­ße 42 ver­waist: Die obe­ren Geschos­se des Sozi­al­am­tes stan­den leer und im Volks­bad war das Was­ser abge­stellt wor­den. Das änder­te sich bald, als die Stadt drin­gend Räu­me zur Asyl-Unter­kunft such­te und im leer­ste­hen­den Gebäu­de fand. Denn durch die Umbrü­che im Ost­eu­ro­pa der 1990er kamen plötz­lich vie­le Men­schen nach Mann­heim: 1989/90 wur­den hier zunächst 36 DDR-Übersiedler:innen unter­ge­bracht. Als aber zwi­schen 1991 und 1994 bis zu 200 Asylbewerber:innen in den ehe­ma­li­gen Amts­räu­men unter­ge­bracht wur­den, häuf­te sich die Kri­tik an den nicht trag­ba­ren Zustän­den – das Gebäu­de wur­de als Asyl-Unter­kunft aufgegeben.

Nun wur­de viel im Stadt­teil über die zukünf­ti­ge Nut­zung des wie­der ver­wais­ten Gebäu­des dis­ku­tiert. Eini­ge Stim­men setz­ten sich etwa für den Umbau zur Senio­ren­re­si­denz ein. Erst 1998 ließ die Stadt die obe­ren Stock­wer­ke mit­hil­fe einer Arbeits­in­itia­ti­ve ehe­ma­li­ger Obdach­lo­ser für eine erneu­te Bezirks­stel­le des Sozi­al­am­tes sanie­ren. Für das ehe­ma­li­ge Volks­bad im Kel­ler fehl­te jedoch Geld, sodass es von der Sanie­rung aus­ge­spart wur­de und – glück­li­cher­wei­se – im Ori­gi­nal­zu­stand erhal­ten blieb.

Mitte 1990er: Die Wiederentdeckung des Volksbads Neckarstadt

Es war die Geschichts­werk­statt Neckar­stadt, die den his­to­ri­schen Wert des im Kel­ler ver­ges­se­nen Volks­bads wie­der­ent­deck­te. Deren Mit­glie­der such­ten damals umtrie­big die Neckar­stadt nach prä­gnan­ten, denk­mal­wür­di­gen Gebäu­den ab (1). Grund dafür war der damals heiß dis­ku­tier­te Abriss des „Lau­ren­ti­us­blocks“ (Wald­hof­str. 1–11). Die­ser hat­te in den 1980er und 1990er Jah­ren vie­le Pro­tes­te in der Neckar­stadt aus­ge­löst und führ­te sogar zu einer auf­se­hen­er­re­gen­den Hausbesetzung.

(1) Die lose Grup­pe der Geschichts­werk­statt Neckar­stadt ging 2003 in einem Ver­ein auf, um Unter­stüt­zung für das Volks­bad zu erhal­ten. Die ehe­ma­li­gen Vor­sit­zen­den von links nach rechts: Hans-Joa­chim Hirsch, Uwe Schwer­del, Fran­zis­ka Cuss­nik, Josef K. Schmitt.1

Die Geschichts­werk­statt unter­stütz­te die Laurentiusblock-Bewohner:innen mit For­schun­gen und konn­te auch die Hil­fe der Lan­des­denk­mal­schutz­be­hör­de gewin­nen. Den­noch wur­den die his­to­ri­schen Häu­ser 1998 abge­ris­sen. Um wei­te­ren Abriss in der Neckar­stadt zu ver­hin­dern, enga­gier­te sich die Geschichts­werk­statt für den Denk­mal­schutz ande­rer Gebäu­de: so etwa für den heu­ti­gen KIOSK am Neu­markt (eines der weni­gen erhal­te­nen Klo-Häus­chen des Stadt­bau­meis­ters Richard Perrey) und für das Volks­bad Neckarstadt.

Seit 1998: Geschichtswerkstatt richtet altes Volksbad her

Dabei kam die Geschichts­werk­statt mit der Stadt ins Gespräch, die sich 1998 auf eine Nut­zung der ehe­ma­li­gen Bade­an­stalt für kul­tu­rel­le Zwe­cke einig­ten (2). Damals plan­te die Geschichts­werk­statt sowohl eine Dau­er­aus­stel­lung zur Geschich­te der Neckar­stadt ein­zu­rich­ten als auch Räu­me für wech­seln­de Aus­stel­lun­gen und Kul­tur­ver­an­stal­tun­gen freizuhalten.

Zunächst muss­ten die Mit­glie­der aber die Räu­me des still­ge­leg­ten Bades ent­rüm­peln, das zwi­schen­zeit­lich als Lager für Möbel und Bau­schutt gedient hat­te. Über meh­re­re Jah­re räum­ten die Mit­glie­der an den Wochen­en­den auf. Dabei wur­de das Volks­bad mög­lichst ori­gi­nal­ge­treu her­ge­rich­tet: Türen, Bade­uh­ren, Abla­gen und Holz­ho­cker blie­ben, sofern erhal­ten, wie zu Zei­ten des Bade­be­triebs (3).

(2) Bei einem Rund­gang 1998 öff­ne­te die Geschichts­werk­statt erst­mals die Tore des ehe­ma­li­gen Volks­bads für Inter­es­sier­te.2
(3) 2003 war die Ent­rüm­pe­lung des Volks­bads abge­schlos­sen und ers­te Füh­run­gen fan­den statt.3

2008: Unter Denkmalschutz

Im Früh­jahr 2008 erwirk­te die Geschichts­werk­statt den Denk­mal­schutz für die Mit­tel­stra­ße 42, also für das Volks­bad und das Sozi­al­amt. Dazu hat­te sie die Geschich­te des Gebäu­des eigen­stän­dig erforscht und mehr­fach an die Denk­mal­schutz­be­hör­de in Karls­ru­he geschrie­ben. Das gesam­te Gebäu­de wur­de als „gut erhal­te­nes Bei­spiel eines qua­li­tät­vol­len Sozi­al- und Ver­wal­tungs­baus der Neu­en Sach­lich­keit“ bezeich­net. Ins­be­son­de­re das noch ori­gi­nal erhal­te­ne Volks­bad wur­de her­vor­ge­ho­ben als „ein sel­ten gewor­de­nes sozi­al­ge­schicht­li­ches Zeug­nis einer Epo­che, in der pri­va­te Bäder in den dicht beleg­ten Miet­wohn­häu­sern kaum ver­brei­tet waren und zum teu­ren Luxus gehörten.“

2015: Altes Sozialamt – Creative Business

Nach­dem die Mit­tel­stra­ße 42 unter Denk­mal­schutz gestellt wor­den war, such­te auch die Stadt eine neue Nut­zung für das Gebäu­de. Im Sin­ne der Krea­tiv­zen­tren-Stra­te­gie der städ­ti­schen „Next Mann­heim“ soll­ten im ehe­ma­li­gen Sozi­al­amt Räu­me für ver­schie­de­ne Unter­neh­men aus Design und Medi­en ein­ge­rich­tet wer­den. 2011/12 begann der Umbau, sodass ab 2015 neben klei­ne­ren Start­ups auch das freie Radio „bermuda.funk“ und das Quar­tier­ma­nage­ment Neckar­stadt (seit 2023 in der Mit­tel­stra­ße 88) in die Räu­me des „Altes Vol­sk­bad – Crea­ti­ve Busi­ness“ ein­zo­gen (4+5). Es sei ange­merkt, dass der Name „Altes Volks­bad“ auf die Räu­me des ehe­ma­li­gen Sozi­al­am­tes eigent­lich gar nicht passt.

(4) Die obe­ren Stock­wer­ke wur­den ab 2011 zum „Altes Volks­bad – Crea­ti­ve Busi­ness“ umge­baut.4
(5) Ab 2015 zogen Krea­ti­ve aus der Medi­en­bran­che in die Räu­me des ehe­ma­li­gen Sozi­al­am­tes ein. Im Erd­ge­schoss fin­det sich z.B. das freie Radio „bermuda.funk“.5

Abbildungsnachweise

  1. „Stadt­teil­ge­schich­te auf der Spur“, in: Mann­hei­mer Mor­gen vom 16.5.2003 (Nr. 112). ↩︎
  2. „Nach Fei­er­abend folgt der Griff zur Schau­fel“, in: Mann­hei­mer Mor­gen vom 4.9.1998 (Nr. 204), S. 22. ↩︎
  3. „Besich­ti­gung des Vol­sk­ba­des“, in: Neckar­stadt Anzei­ger vom 9.10.2003, S. 4–5. ↩︎
  4. Pri­vat (Lukas Kraus), 2024. ↩︎
  5. Pri­vat (Lukas Kraus), 2024. ↩︎