9. Umnutzung und Wiederentdeckung
Mit dem Auszug von Sozialamt und Volksbad musste für die Mittelstraße 42 eine neue Bestimmung gefunden werden. Es folgten verschiedene Umnutzungen bevor der historische Wert wiederentdeckt wurde und zum Denkmalschutz führte.
1990er: Erst Unterkunft, dann Sozialamt – und der vergessene Keller
1989 war die Mittelstraße 42 verwaist: Die oberen Geschosse des Sozialamtes standen leer und im Volksbad war das Wasser abgestellt worden. Das änderte sich bald, als die Stadt dringend Räume zur Asyl-Unterkunft suchte und im leerstehenden Gebäude fand. Denn durch die Umbrüche im Osteuropa der 1990er kamen plötzlich viele Menschen nach Mannheim: 1989/90 wurden hier zunächst 36 DDR-Übersiedler:innen untergebracht. Als aber zwischen 1991 und 1994 bis zu 200 Asylbewerber:innen in den ehemaligen Amtsräumen untergebracht wurden, häufte sich die Kritik an den nicht tragbaren Zuständen – das Gebäude wurde als Asyl-Unterkunft aufgegeben.
Nun wurde viel im Stadtteil über die zukünftige Nutzung des wieder verwaisten Gebäudes diskutiert. Einige Stimmen setzten sich etwa für den Umbau zur Seniorenresidenz ein. Erst 1998 ließ die Stadt die oberen Stockwerke mithilfe einer Arbeitsinitiative ehemaliger Obdachloser für eine erneute Bezirksstelle des Sozialamtes sanieren. Für das ehemalige Volksbad im Keller fehlte jedoch Geld, sodass es von der Sanierung ausgespart wurde und – glücklicherweise – im Originalzustand erhalten blieb.
Mitte 1990er: Die Wiederentdeckung des Volksbads Neckarstadt
Es war die Geschichtswerkstatt Neckarstadt, die den historischen Wert des im Keller vergessenen Volksbads wiederentdeckte. Deren Mitglieder suchten damals umtriebig die Neckarstadt nach prägnanten, denkmalwürdigen Gebäuden ab (1). Grund dafür war der damals heiß diskutierte Abriss des „Laurentiusblocks“ (Waldhofstr. 1–11). Dieser hatte in den 1980er und 1990er Jahren viele Proteste in der Neckarstadt ausgelöst und führte sogar zu einer aufsehenerregenden Hausbesetzung.
Die Geschichtswerkstatt unterstützte die Laurentiusblock-Bewohner:innen mit Forschungen und konnte auch die Hilfe der Landesdenkmalschutzbehörde gewinnen. Dennoch wurden die historischen Häuser 1998 abgerissen. Um weiteren Abriss in der Neckarstadt zu verhindern, engagierte sich die Geschichtswerkstatt für den Denkmalschutz anderer Gebäude: so etwa für den heutigen KIOSK am Neumarkt (eines der wenigen erhaltenen Klo-Häuschen des Stadtbaumeisters Richard Perrey) und für das Volksbad Neckarstadt.
Seit 1998: Geschichtswerkstatt richtet altes Volksbad her
Dabei kam die Geschichtswerkstatt mit der Stadt ins Gespräch, die sich 1998 auf eine Nutzung der ehemaligen Badeanstalt für kulturelle Zwecke einigten (2). Damals plante die Geschichtswerkstatt sowohl eine Dauerausstellung zur Geschichte der Neckarstadt einzurichten als auch Räume für wechselnde Ausstellungen und Kulturveranstaltungen freizuhalten.
Zunächst mussten die Mitglieder aber die Räume des stillgelegten Bades entrümpeln, das zwischenzeitlich als Lager für Möbel und Bauschutt gedient hatte. Über mehrere Jahre räumten die Mitglieder an den Wochenenden auf. Dabei wurde das Volksbad möglichst originalgetreu hergerichtet: Türen, Badeuhren, Ablagen und Holzhocker blieben, sofern erhalten, wie zu Zeiten des Badebetriebs (3).
2008: Unter Denkmalschutz
Im Frühjahr 2008 erwirkte die Geschichtswerkstatt den Denkmalschutz für die Mittelstraße 42, also für das Volksbad und das Sozialamt. Dazu hatte sie die Geschichte des Gebäudes eigenständig erforscht und mehrfach an die Denkmalschutzbehörde in Karlsruhe geschrieben. Das gesamte Gebäude wurde als „gut erhaltenes Beispiel eines qualitätvollen Sozial- und Verwaltungsbaus der Neuen Sachlichkeit“ bezeichnet. Insbesondere das noch original erhaltene Volksbad wurde hervorgehoben als „ein selten gewordenes sozialgeschichtliches Zeugnis einer Epoche, in der private Bäder in den dicht belegten Mietwohnhäusern kaum verbreitet waren und zum teuren Luxus gehörten.“
2015: Altes Sozialamt – Creative Business
Nachdem die Mittelstraße 42 unter Denkmalschutz gestellt worden war, suchte auch die Stadt eine neue Nutzung für das Gebäude. Im Sinne der Kreativzentren-Strategie der städtischen „Next Mannheim“ sollten im ehemaligen Sozialamt Räume für verschiedene Unternehmen aus Design und Medien eingerichtet werden. 2011/12 begann der Umbau, sodass ab 2015 neben kleineren Startups auch das freie Radio „bermuda.funk“ und das Quartiermanagement Neckarstadt (seit 2023 in der Mittelstraße 88) in die Räume des „Altes Volskbad – Creative Business“ einzogen (4+5). Es sei angemerkt, dass der Name „Altes Volksbad“ auf die Räume des ehemaligen Sozialamtes eigentlich gar nicht passt.
Abbildungsnachweise
- „Stadtteilgeschichte auf der Spur“, in: Mannheimer Morgen vom 16.5.2003 (Nr. 112). ↩︎
- „Nach Feierabend folgt der Griff zur Schaufel“, in: Mannheimer Morgen vom 4.9.1998 (Nr. 204), S. 22. ↩︎
- „Besichtigung des Volskbades“, in: Neckarstadt Anzeiger vom 9.10.2003, S. 4–5. ↩︎
- Privat (Lukas Kraus), 2024. ↩︎
- Privat (Lukas Kraus), 2024. ↩︎