4. Das Volksbad im Neubau
Auf das bald veraltete Volksbrausebad folgte 1931 das noch heute erhaltene, größere Bad, das mit seiner technisch hochwertigen aber nüchternen Ausstattung ganz dem Zeitgeist entsprach.
Startschuss 1929 – eine halbe Million Mark für den Neubau
Anfang der 1920er Jahre diskutierten Mannheimer Stadträte über einen Neubau des Volksbrausebads Neckarstadt. Das 1890 eröffnete Gebäude galt als technisch überholt und für den bevölkerungsreichen Stadtteil als zu klein. Es fehlte aber Geld zur Umsetzung. Erst im Dezember 1929 bewilligte der Stadtrat stolze 513.000 Mark für einen Neubau, in dem neben dem Volksbad auch eine Zweigstelle des Fürsorgeamtes und eine Mütterberatungsstelle eingerichtet wurden (1+2).
Mehr Platz im neuen Volksbad Neckarstadt
Im März 1931 eröffnete das Volksbad Neckarstadt in seiner heutigen Form. Mit seinen 40 Kabinen – darunter 12 Wannen- und 28 Duschkabinen – war es gleich doppelt so groß wie der ursprüngliche Bäder-Pavillon. Zusätzlich war ein Anbau vorbehalten worden, in dem schon 1934 wegen der hohen Besuchszahlen 15 weitere Duschen eingerichtet wurden (3).
Geschlechtertrennung – aber mehr Platz für Männer?
Im neuen Volksbad wurde die Geschlechtertrennung fortgesetzt. Sie sollte ein ungestörtes Bad mit ausreichend Privatsphäre sicherstellen. Baulich zeigt sich das in zwei getrennten Bäderbereichen: Von der zentralen Kasse am Eingang gelangten Badegäste links in den Frauen-Warteraum, rechts in den der Männer. Von dort konnten die gleich großen Bäderbereiche mit je 6 Wannen und 8 Duschen erreicht werden. An der Stirnseite standen den Männern allerdings weitere 12 bzw. später 27 Duschen zur Verfügung.
Zumindest auf den ersten Blick schienen Frauen- und Männerabteilung gleich groß, während die zusätzlichen Kabinen für Männer im hinteren Bereich „versteckt“ wurden. Dieser architektonische Kompromiss sollte einerseits den weiterhin höheren Besuchszahlen an Männern Rechnung getragen werden. Andererseits wurden in den 1920er Jahren die getrenntgeschlechtlichen Bäderbereiche meist gleich groß gebaut. Grund dafür war, dass die in der Weimarer Republik postulierte, politische Gleichberechtigung auch in öffentlichen Gebäuden sichtbar werden sollte. Zusätzlich arbeitete etwa 1/3 der erwerbsfähigen Frauen in Lohnarbeit, sodass ein regelmäßiges Bad nicht nur nötig, sondern auch vom eigenen Gehalt bezahlt werden konnte.
Im Verhältnis wird der Schritt zur Angleichung an Badegelegenheiten erkennbar: Kamen im ersten Volksbrausebad noch 6 Bademöglichkeiten für Männer auf eine für Frauen, standen im neuen Volksbad jeder Bademöglichkeit für Frauen nur noch 2 bzw. 3 für Männer gegenüber.
Innenarchitektur – Zweckmäßigkeit & Rationalität
Das Volksbad wurde zeittypisch zweckmäßig und ohne funktionslose Dekorationen gestaltet. So scheint der Bäderbereich heute zwar nüchtern, entsprach aber dem damaligen Hygienebewusstsein: Die vollständig aus heller Keramik gefliesten Badekabinen waren wasserdicht, zeigten Schmutz und ließen sich leicht reinigen. Ebenso galt es als modern das Bad „aus einem Guss“ auszustatten, also Wanne, Dusche und sogar Seifenhalter mit dem Bad zu verschmelzen – die dafür handgefertigten Fliesen wurden laut Bauauftrag von einem Betrieb aus der Neckarstadt geliefert (4).
Im Neuen Bauen wurden aber auch Licht und Luft eine bedeutende Funktion zugewiesen. So gelang natürliches Licht von den seitlichen Fenstern in die Kabinen, weil die Kellerdecke leicht über dem Straßenniveau angelegt wurde. Zusätzlich wurde das Bad mit elektrischem Licht vollständig beleuchtet.
Auch die Belüftungsanlage war eine wichtige Neuerung. Immerhin entsandt beim Badebetrieb im Keller schnell stickiger Wasserdampf, der über die Lüftung unter der Decke angesaugt und gegen frische Luft getauscht wurde. Die nach oben offenen Kabinen unterstützten die Belüftung (5).
Ausstattung – wie im ersten Volksbrausebad
Die Kabinen waren funktional mit einem Kleiderhaken, Holzhocker und einem Spiegel mit Ablage ausgestattet. Dies galt in fast allen deutschen Volksbädern als Grundausstattung. Der kleine Spiegel auf Kopfhöhe bot allerdings nur die Möglichkeit zur Rasur oder zum Schminken, nicht aber zur ungestörten Untersuchung des Körpers im medizinischen Sinne – und das obwohl in den meisten Haushalten noch immer Privatsphäre und oft auch größere Spiegel fehlten.
Modernisierung – das erste Volksbad mit Gasanschluss
Mit dem Neubau erhielt das Volksbad Neckarstadt als erstes der Mannheimer Bäder einen Gasanschluss. Wasser und Heizungen konnten nun auf konstanter Temperatur mit Gas befeuert werden. Das war vor allem für das Bäderpersonal eine große Entlastung, das nun keine Kohlen mehr in die Öfen schippen musste. Ebenso entfiel die logistisch aufwändige Anlieferung und Lagerung der Kohlen. In der Nachkriegszeit konnte der Badebetrieb wegen der Gasversorgung nur in der Neckarstadt aufrechterhalten werden (6).
Bau der 2. Etage 1952 – Die Jugend-Beratungsstelle
Manche:r mag bemerkt haben, dass das ursprüngliche Gebäude eine Etage kleiner war. Das zweite Stockwerk wurde nämlich erst 1952 hinzugefügt, um dort eine sogenannte Heilpädagogische Beratungsstelle einzurichten.
Zuvor war das Dach von einer Fliegerbombe im September 1943 beschädigt worden (7). Der Bademeister musste sogar zeitweise aus seiner Dienstwohnung ausziehen. Auch die angrenzende Bernhard-Kahn-Lesehalle litt unter Kriegsschäden und wurde Ende der 1940er Jahre abgerissen.
Während die notwendige Dachreparatur geplant wurde, erhielt die Stadt ein Förderangebot: Durch Mittel des US-amerikanischen McCloy-Fonds konnte dem Gebäude eine zweite Etage für eine „Child Guidance Clinic“ hinzugefügt werden. Diese bot von 1953 bis vermutlich 1972 als „Beratungsstelle der Stadt Mannheim für Kinder und Jugendliche“ ärztliche Hilfe für „schwierige“ Minderjährige an. In geschützter Atmosphäre aus bastgewebten Wandtteppichen und tiefen Korbsesseln therapierten hier Fachärzte seelische Störungen und klärten Eltern über Unterstützung auf. Damit kann die Stelle als Vorläufer des Mannheimer Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in J5 angesehen werden (8).
Abbildungsnachweise
- Ursprung unbekannt; Privatarchiv der Geschichtswerkstatt Neckarstadt e.V. ↩︎
- MARCHIVUM, Einzelbilder, GP00001, Nr. 14. ↩︎
- MARCHIVUM, Plansammlung, PL01711. ↩︎
- MARCHIVUM, Einzelbilder, GP00001, Nr. 19. ↩︎
- MARCHIVUM, Einzelbilder, GP00001, Nr. 18. ↩︎
- MARCHIVUM, Einzelbilder, GP00001, Nr. 20. ↩︎
- MARCHIVUM, Alben, AB02131‑8–072. ↩︎
- MARCHIVUM, Plansammlung, PL09184. ↩︎