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Hintergrund: 1872 bis Anfang 1900

3. Gründung der Neckarstadt

Vorgeschichte: Vom Idyll der Neckargärten…

Lan­ge vor der heu­ti­gen Neckar­stadt lagen hier die idyl­li­schen „Neckar­gär­ten“. Das Gelän­de nörd­lich des Neckars gehör­te damals nicht mal zu Mann­heim. Ihren Anfang nahm die Neckar­stadt als Kur­fürst Karl Lud­wig 1679 die All­men­de „Pflü­gers­grund“ der Stadt als Bür­ger­gär­ten anbot. Um die ers­te fes­te Brü­cke über den Neckar zu finan­zie­ren, ver­los­te die Stadt die Par­zel­len unter den Bürger:innen. Als Mann­heim wenig spä­ter 1689 im Pfäl­zi­schen Erb­fol­ge­krieg zer­stört wur­de, wur­den die Gär­ten sogar für eini­ge Jah­re als „Neu-Mann­heim“ bewohnt. Vor allem dien­ten die Neckar­gär­ten im 18. Jahr­hun­dert aber als Nah­erho­lungs­ge­biet, in denen Wohl­ha­ben­de präch­ti­ge Gar­ten-Pavil­lons errich­ten lie­ßen. Ende des 18. Jahr­hun­dert fan­den sich in den Neckar­gär­ten etwa 550 Gär­ten, dazu klei­ne­re Hand­werks­be­trie­be, Braue­rei­en und Gewerbetreibende.

(1) Mit­ten in den Neckar­gär­ten ließ sich der berühm­te Vio­li­nist Jean Becker ein präch­ti­ges Kon­zert- und Wohn­haus bau­en.1

… zum neuen Stadtteil Neckarvorstadt

Die Zeit als beschau­li­che Gar­ten­ko­lo­nie ende­te im 19. Jahr­hun­dert: wie in vie­len Städ­ten der Indus­tria­li­sie­rung, wuchs auch Mann­heim über die Gren­zen der baro­cken Fes­tungs­stadt hin­aus. Denn Fabri­ken brauch­ten Platz und tau­sen­de Arbeiter:innen such­ten Wohn­raum. In Mann­heim und andern­orts hielt die Bau­tä­tig­keit nicht mit dem Zustrom an Men­schen Schritt.

Der Wohn­raum­man­gel wur­de ab den 1860er Jah­ren ein ech­tes Pro­blem. Die Unter­stadt, das tra­di­tio­nel­le Armen­quar­tier, war über­füllt. Auch das Hafen­vier­tel im Jung­busch wur­de schon als Wohn­raum erschlos­sen. Abbhil­fe soll­te nun die Bebau­ung der ehe­ma­li­gen Bür­ger­gär­ten in der heu­ti­gen Schwet­zin­ger- und Neckar­stadt schaf­fen (2).

(2) Die Neckar­gär­ten auf einem Stadt­plan von 1875. Die Gär­ten sind als grü­ner Kreis erkenb­barm, die Neckar­vor­stadt ist nur pro­jek­tiert.2

Jen­seits des Neckars beschloss die Stadt 1872 sogar die Fort­füh­rung der „Qua­dra­te“ zwi­schen Mess­platz und den Neckar­gär­ten (bis zum heu­ti­gen Neu­markt). In den ehe­ma­li­gen Neckar­gär­ten konn­ten die­se auf­grund der Eigen­tums­rech­te nicht fort­ge­setzt wer­den. Hier herrsch­te bis in die 1890er Jah­re fak­ti­sche Bau­frei­heit, sodass die frü­he­ren Gar­ten­par­zel­len in Eigen­re­gie mit Wohn­häu­sern bebaut wor­den waren. Noch heu­te drückt sich dies in den viel enge­ren Stra­ßen ent­lang klei­ne­rer Häu­ser samt man­cher Vor­gär­ten zwi­schen Neu­markt und Unter­mühl­au­stra­ße aus (3+4).

(3) Die Neckar­vor­stadt auf einem Stadt­plan von 1901. Der Stadt­teil ist zum Groß­teil bebaut, wobei die frü­he­ren Gär­ten von der Block­rand­be­bau­ung unter­schie­den wer­den kann.3
(4) Die Neckar­vor­stadt als Detail eines Stichs von Mann­heim 19074

Stadtteil der Arbeiter:innen: Schlechte Wohnungen und Armut

Mit dem schlag­ar­ti­gen Wachs­tum war auch eine neue sozia­le Grup­pe in die Stadt gezo­gen: Mann­heim war nicht mehr nur Resi­denz wohl­ha­ben­de­rer Bürger:innen, son­dern nun auch Wohn­ort der ärme­ren Arbeiter:innen. Die­se ström­ten vom Land in die Städ­te, um dort für einen Hun­ger­lohn in den Fabri­ken zu arbeiten.

So wohn­ten auch der Neckar­stadt vor­ran­gig ärme­re Men­schen. Ihre Lage ver­schärf­te sich wegen man­geln­der Bau- und Sozi­al­ge­set­ze. Denn Eigentümer:innen wur­den kaum dar­an gehin­dert ihre Grund­stü­cke maxi­mal aus­zu­las­ten, um mehr Mie­te ein­zu­neh­men. Es ent­stan­den dicht­be­bau­te Block­rand­vier­tel, in dem der oft klei­ne Hof bloß als Zugang zum Hin­ter­haus dien­te. Eben­so bestan­den die Woh­nun­gen aus weni­gen oder nur einem Zim­mer. Hier dran­gen Licht und Luft kaum ein, sodass die dunk­len, feuch­ten Räu­me krank mach­ten – v.a. Kin­der lit­ten unter Lungen-Tuberkulose.

Beson­ders pro­ble­ma­tisch war die chro­ni­sche Über­be­le­gung sol­cher Woh­nun­gen: die gan­ze Fami­lie teil­te sich meist einen Raum aus Wohn­kü­che, Tisch und Bett. Hier wur­de am Koh­le­ofen gekocht, Wäsche am Zuber gewa­schen und im Zim­mer getrock­net, der Tisch wur­de zur Heim­ar­beit genutzt und in einem Bett gemein­sam geschla­fen. Kurz­um: es gab kei­ne Pri­vat­sphä­re oder irgend­ei­nen wohn­li­chen Kom­fort (6+7).

(6) Beeng­te Wohn­ver­hält­nis­se in der Bür­ger­meis­ter-Fuchs-Str.5
(7) Ein wei­te­rer Ein­blick in die beeng­ten Wohn­ver­hält­nis­se in der Bür­ger­meis­ter-Fuchs-Str. Arbeit und Woh­nen war oft nicht getrennt, Pri­vat­sphä­re gab es nicht.6

Ende 1880er Jahre: Die Stadt soll eingreifen

Nicht nur in den Woh­nun­gen, son­dern auch auf den Stra­ßen häuf­ten sich Män­gel. Inzwi­schen äußer­te sich auch die Pres­se. Ein Bericht von 1886 kri­ti­sier­te etwa die wei­ter­hin feh­len­de Kana­li­sa­ti­on. Weil so alle Abwäs­ser auf die Stra­ßen gegos­sen wer­den müss­ten, wären die­se zu ver­sumpf­ten, übel­rie­chen­den Kloa­ken geworden:

„Im Inter­es­se der Bewoh­ner der Neckar­gär­ten, im Inter­es­se der öffent­li­chen Gesund­heit, soll­te mit der Kana­li­sa­ti­on nicht län­ger gewar­tet wer­den […] bis eine epi­de­mi­sche Krank­heit aus­ge­bro­chen ist“.

Auch immer mehr Bewohner:innen for­der­ten laut­stark bes­se­re Wohn­ver­hält­nis­se. Sie erreich­ten, dass das badi­sche Innen­mi­nis­te­ri­um 1887 die Stadt ermahn­te. Sie sol­le die „erheb­li­chen Miss­stän­de“ rasch besei­ti­gen. Zunächst fiel dar­un­ter die Aus­bes­se­rung der Stra­ßen. Es ist aber anzu­neh­men, dass weit­rei­chen­de­re Maß­nah­men zur Beru­hi­gung der Lage vor­ge­nom­men wer­den muss­ten. Denn noch im glei­chen Jahr beriet der Stadt­rat zum Bau eines „Volks­brau­se­bads“ in der Neckarstadt.

(8) Der Kolo­ni­al­wa­ren­la­den an der Damm­str. 48 wur­de noch vor der Stra­ße gebaut und lag daher viel zu nied­rig. Foto von 1895.7

Abbildungsnachweise

  1. Hans-Joa­chim Hirsch: Mann­heim-Neckar­stadt (schrif­ten­rei­he Mar­chivum, Bd. 8), Mann­heim 2022, S. 40. ↩︎
  2. MARCHIVUM, Kar­ten­samm­lung, KS00887 ↩︎
  3. MARCHIVUM, Kar­ten­samm­lung, KS00034 ↩︎
  4. MARCHIVUM, Ein­zel­bil­der, GF01378 ↩︎
  5. MARCHIVUM, Ein­zel­bil­der, GP00283, Nr. 19 ↩︎
  6. MARCHIVUM, Ein­zel­bil­der, GP00283, Nr. 17 ↩︎
  7. MARCHIVUM, Ein­zel­bil­der, KF01378 ↩︎