6. Das Fürsorgeamt
Das Gebäude Mittelstraße 42 ist zwar heute als „Altes Volksbad“ bekannt. In erster Linie wurde es 1931 aber als Fürsorgeamt eröffnet, in dem mit Mütterberatungsstelle und Volksbad weitere städtische Angebote zusammengefasst wurden.
Weltwirtschaftskrise: Die Fürsorge in Not
Das heutige Gebäude ist aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 geboren. In Mannheim verdoppelte sich die Zahl der Arbeitslosen in nur zwei Jahren auf 43.500 (1931). Nun drängten täglich Hunderte in das Fürsorgeamt in R5, um die klägliche „Erwerbslosenfürsorge“ in bar ausgezahlt zu bekommen. Auf vier Beamte kämen über 170 Empfänger:innen, alarmierte Bürgermeister Richard Böttger.
Um die problematische Lage einzudämmen, setzten sich SPD und Deutsche Demokratische Partei für den Bau von Zweigstellen des Fürsorgeamtes in den Stadtteilen ein. Den Anfang sollte die bevölkerungsreiche, aber ärmere Neckarstadt machen. Zentrum und Deutsche Volkspartei hielten kategorisch dagegen: Fürsorgeempfänger:innen sollten zum Arbeiten gebracht werden, anstatt ihnen die Auszahlung von Leistungen in Zweigstellen noch zu erleichtern.
Im Dezember 1929 stimmte schließlich eine Mehrheit im Mannheimer Bürgerausschuss für einen Neubau, der verschiedene soziale Angebote bündelte und so insgesamt günstiger gebaut werden konnte. Als Bauplatz wurde das an der Mittelstraße zentral gelegene Grundstück des inzwischen veralteten Volksbrausebads ausgewählt.
Eröffnung (1931): Angebotsvielfalt und „Neues Bauen“
Im März 1931 wurde das Gebäude von Oberbürgermeister Heimerich nach nur einjähriger Bauzeit eingeweiht. Stolz wurden die städtischen Angebote im Neubau aufgezählt: mehr Platz für die Fürsorge im zur Pflügersgrundstraße gelegenen Gebäudeteil; zur Mittelstraße ausgerichtet befanden sich im Keller ein größeres, moderneres Volksbad und in die erste Etage war die Mütterberatungsstelle aus der Neckarschule umgezogen (1).
Auch Architekt Josef Zizler war bei der Eröffnung. Er galt als Vertreter des „Neuen Bauens“, dessen Fokus auf Funktion und Form lag: das Gebäude sollte zweckmäßig für sich stehen, frei von ablenkenden Verzierungen sein und sich stattdessen durch klare, wohl proportionierte Formen auszeichnen. Abseits der Theorie waren kostensenkende Zweckmäßigkeit und Rationalität in den 1920er Jahren aber auch eine Bedingung, um ein Bauvorhaben überhaupt zu realisieren.
Während das Gebäudeinnere stilsicher nach den Prinzipien des „Neuen Bauens“ umgesetzt wurde, ist die Fassade als Kompromiss zu den umgebenden „Altbauten“ – vor allem zur benachbarten Bernhard-Kahn-Lesehalle im barocken Stil – zu verstehen. Zizler griff auf „altmodische“ Elemente zurück, um das neue Gebäude harmonisch in den Stadtteil einzubinden: anstelle von einer horizontalen Fensterfront aus Glas und Metall wurden schmale, in die Höhe strebende Fenster mit Stein umrahmt; anstatt eines moderneren Flachdachs wurde auf ein Walmdach zurückgegriffen (2).
Einrichtung des Fürsorgeamtes
Das Tor ins frühere Fürsorgeamt und ins heutige Creative Business befindet sich in der Pfügersgrundstraße. Besucher:innen des Amtes wurden bewusst hierher geleitet, um die Mittelstraße bei starkem Andrang freizuhalten. Damals wie heute führte eine kurze Treppe von der Straße in den Eingangbereich (Hochparterre). Den Treppenaufgang schmücken noch heute zwei Sandstein-Reliefs aus Bauer und Bäuerin, die in den Bauakten nicht erwähnt werden aber die den Besucher:innen wohl die Früchte fleißiger Arbeit vor Augen halten sollten (3).
(3) Sandstein-Relief aus Bäuerin (links) und Bauer (rechts) am Treppenaufgang ins ehemalige Fürsorgeamt (heute Creative Business). Ähnliche Motive finden sich auch an Fassaden anderer zeitgenössischer Gebäude. Foto von 2024.3
Von der luftigen Eingangshalle (4) waren die 17 Büros erreichbar, die sich auf Hochparterre, Obergeschoss und Dachgeschoss verteilten und über eine Treppe in der Gebäudemitte verbunden waren. Die breiten Gänge dienten als Warteräume. Der wohl wichtigste Raum – die Kasse – lag in der Hochparterre und konnte von Besucher:innen über einen separaten Ausgang zur Mittelstraße verlassen werden.
Begrenzter Sozialstaat: Die Fürsorge in der Weimarer Republik (1919–1933)
Das Fürsorgeamt an sich ist eine Erfindung der Weimarer Republik, knüpfte aber an die Armenpflege des Kaiserreichs an. Die Mittel der staatlichen Fürsorge (sog. „Liebesdienst“) waren allerdings sehr begrenzt und reichten nur für das finanziell Nötigste besonderer Gruppen: Arme, Kriegsgeschädigte, Rentner:innen, Menschen mit Behinderungen und Schwangere.
Stattdessen gewannen die Fürsorgeämter als koordinierende Stelle der privaten Fürsorge an Bedeutung. Denn die praktische Sozialarbeit wurde von konfessionellen und paritätischen Wohlfahrtsverbänden geleistet: z.B. sammelten und verteilten die Verbände Nahrung, Kleidung und Brennstoff an Bedürftige. Dennoch übernahm auch der Staat in den 1920er Jahren mehr Verantwortung in der Fürsorge. Maßgeblich waren u.a. 1924 die Fürsorgepflicht der Gemeinden (so musste auch in Mannheim ein Fürsorgeamt gebaut werden) und 1927 die Gewährung von „Erwerbslosenhilfe“.
Rassenideologie und Verfolgung: Das Fürsorgeamt im Nationalsozialismus (1933–1945)
Im Nationalsozialismus erhielten etwa Rentner:innen oder Kriegsgeschädigte weiterhin im Fürsorgeamt ihre magere Hilfe. Doch der Fürsorgezweck wurde nun umgedreht: Fürsorgepolitik sollte nicht länger dem Einzelnen helfen ein würdiges Leben zu führen, sondern es sollte die rassistisch verstandene „Volksgemeinschaft“ gestärkt werden. Das Fürsorgeamt arbeitete eng mit anderen Behörden und der Polizei zusammen, um Menschen mit abweichendem Verhalten aus dieser „Volksgemeinschaft“ gewaltsam auszuschließen. Betroffen waren u.a. Jüd:innen, Menschen mit Behinderung und vermeintliche „Asoziale“. Wer als „asozial“ galt, entschieden v.a. die Fürsorgeämter: Darunter fielen Prostituierte, Obdachlose, sog. „Arbeitsscheue“ und pauschal alle Sinti*zze und Rom*nja.
Die Fürsorgeämtern nutzten verschiedene Formen der Ausgrenzung und Verfolgung: Häufig entzogen sie „unliebsamen“ Empfänger:innen pauschal Leistungen. Menschen mit Behinderung und Alkoholkranke wurden ab Juli 1933 beim Erbgesundheitsgericht angezeigt, wo ihnen entsprechend dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ die Zwangssterilisation drohte (980 Fälle in Mannheim 1933–1938). Tausende Fürsorgeempfänger:innen in Anstalten wurden ab 1939 bis Kriegsende im Rahmen der „Aktion T4“ ermordet. Ebenso verwies auch das Fürsorgeamt Neckarstadt Viele sog. „Asoziale“ mit dem schwarzen Winkel in den Tod der Konzentrationslager (5).
Ausblick: Das Sozialamt in der Bundesrepublik
In der Bundesrepublik wurde die Fürsorge in diesem Gebäude nach dem Prinzip des Rechts- und Sozialstaats und ab 1962 unter dem Namen Sozialamt fortgesetzt. Erst im Frühjahr 1988 zog das Amt in das Felina-Areal um. Die daraufhin leeren Amtsräume wurden zwischenzeitlich als Asylunterkunft verwendet und 1992 nachträglich einige Büros in der Hochparterre wieder für eine Asyl-Betreuungsstelle des Sozialamtes freigemacht. Unterkunft und Betreuungsstelle wurden Mitte der 1990er jedoch wieder geschlossen. Schon 1998 zog ein Teil des Neckarstädter Sozialamts erneut in die Räume des ehemaligen Fürsorgeamts ein (6), zog um 2010 aber endgültig aus und machte dem heutigen Creative Business Platz.
Abbildungsnachweise
- MARCHIVUM, Plansammlung, PL01712. ↩︎
- MARCHIVUM, Plansammlung, PL01716. ↩︎
- Privat (Lukas Kraus), 2024. ↩︎
- MARCHIVUM, Alben, GP00001, Nr. 17. ↩︎
- NS-Dokumentationszentrum Köln (https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/medien/abb/390/4298_6279.jpg). ↩︎
- „Mehr als ein neuer Anstrich. Sozialamt renovierte Volksbad“, in: Mannheimer Morgen vom 4.9.1998 (Nr. 204), S. 22. ↩︎